Exil, Emigration, Kalter Krieg. Konstanten und Varianten des Antikommunismus, Antinazismus, Anti- und Pro-Amerikanismus in Filmen von Samuel „Billie/Billy“ Wilder

Authors

  • Hanns-Werner Heister Hochschule für Musik und Theater Hamburg

Keywords:

exile, emigration, Cold War, American film, Samuel Billie/Billy Wilder

Abstract

In Billy Wilders (1906–2002) Filmen spielt häufig Musik eine wichtige, manchmal wesentliche Rolle, im On wie im Off und oft im Verbund mit Tanz, als Motiv oder sogar als Leitmotiv. Dasselbe gilt für Politik, in einer gewissen Analogie zur Musik im Vorder- wie im Hintergrund. Im Vordergrund steht, bei aller stofflichen Aufmüpfigkeit bis Kühnheit, eine politisch eher konformistische Tendenz, die, wie selbstverständlich nach 1933 wie nach 1945, Antikommunismus einschließt. Das gilt vor allem für Ninotchka (1939; Drehbuch Wilder, Charles Brackett und Walter Reisch, Regie Lubitsch) und One, Two, Three (just 1961, wegen des Baus der „Berliner Mauer“ im August 1961 zunächst ein Flop), beide ebenso witzig und komisch wie das heute wohl noch bekanntere some like it hot (1959). Letzteres zeigt mit dem durchgängigen Leitmotiv des Transvestitismus schon im Vordergrund eine deutliche Kritik an den Zensur-Regeln des Hays Office in Hollywood und der vorherrschenden Mentalität in den USA generell. Und in One, Two, Three wird die Forderung „More Rock’n’Roll“ in der DDR-Grandhotel-Kaschemme mit Hačaturâns säbeltanz beantwortet, samt „Tabledance“ – damals noch ein bloßes Tanzen auf dem Tisch mit nur beginnendem Striptease.

Einige weitere variative Finessen, zumal solche im Hintergrund, werden im Folgenden et- was genauer untersucht – so vor allem, freilich nur in Ansätzen, die fortzusetzen sind, das aufschlussreiche, vielfältige und weitgespannte Netz von persönlichen, historisch-politisch-sozialen und intertextuell-intermedialen Bezügen. So folgte Ninotchka schon 1940 ein Remake als Comrade X mit Hedy Lamarr, die ebenso vor den Nazis geflüchtet war wie der am Drehbuch beteiligte Gottfried Reinhardt (der Sohn von Max). Als Silk Stockings von Cole Porter wurde der Film 1955 als Musical gecovert – und bei der Uraufführung in New York spielte eine weitere zeitweilige Arbeitsemigrantin, Hildegard Knef, die Hauptrolle. Eine deutschsprachige EA gab es erst 1974 in Linz. Das Musical wiederum wurde 1957 verfilmt. Der Stoff- und Plot-Lieferant war Menyhért (Melchior) Lengyel (eigentlich Menyhért Lebovics, 1880–1974) mit seinem Stück Ninocska von 1937. Lengyels Geschichte A csodálatos mandarin von 1916 wiederum hatte Béla Bartók zu seinem Tanzspiel Der wunderbare Mandarin (1924) angeregt. Und natürlich emigrierte auch Bartók. Bei One, Two, Three wirkte Ferenc Molnár am Drehbuch mit, durch Liliom (1909), mit der Musical-Version als Carousel und Mehrfach-Verfilmungen, ein bedeutender Dramatiker. One, Two, Three geht zurück auf sein Stück Egy, kettő, három (deutsch als Eins, zwei, drei. „Karikatur in einem Akt“, 1929).

Nicht zuletzt aufgrund solcher vielschichtiger Einbettungen samt der Entwicklung Wilders bis 1933 in Europa, hat das Exil in den USA, auf der Flucht vor dem Nazismus über Frankreich erreicht, teilweise Züge einer Heimkehr in die Fremde. Hier vermischen sich tatsächlich Exil und Emigration, die sonst kategorial im Sinn einer Polarität von politischer und ökonomischer Motivierung auseinandergehalten werden bzw. wurden. Die Spannungsverhältnisse zwischen mindestens bipolarer Affirmation und Kritik, zwischen Antikommunismus und Antiamerikanismus, Pro-Amerikanismus und Antinazismus im Zeitalter sowohl des Faschismus wie der globalen Bipolarität werden detailliert ausgelotet, einschließlich der schon vermerkten „intertextuellen“ Selbstzitat-Techniken. Wilders Filme enthalten ein kritisches Potential. Es unterwandert gängige konservative bis reaktionäre politisch-moralische Konventionen mit stofflichen Motiven wie Ehebruch, Prostitution oder gar Homosexualität bis hin zum hintergründigen Pun zur Lolita-Thematik mit The Major and the Minor (1942), fast bis zur Annäherung an den in den 1920ern von der Rechten bekämpften „Kulturbolschewismus“. Obwohl diese Konventionen seit der Bürgerrechts- und Studierendenbewegung immer heftiger angefochten wurden, waren sie bis zum Ende von Wilders Schaffenszeit weitgehend hegemonial – der gesellschaftskritische Gehalt seiner Filme ist damit umso deutlicher.

Author Biography

Hanns-Werner Heister, Hochschule für Musik und Theater Hamburg

Prof. im Ruhestand

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Published

14-12-2020